Je ne suis pa Charlie, je ne suis l`homme de personne. Meine Solidarität mit den Karikaturisten-Opfern von Paris bezieht sich auf das beklemmende Gefühl, dass ethische Verfehlungen zu starken Konsequenzen führen können. Das Geheimnis der Meinungsfreiheit: Sie versichert uns unter anderem, dass unsere Unbedachtsamkeiten ungescholten bleiben. Insofern ist die Meinungsfreiheit eine humanistische Errungenschaft, ja eine Gnade. Sie erlaubt uns, unsere Kommunikationen als Übungs-Parcours zu verstehen, auf dem Fehltritte als Teil eines ethischen Lernprozesses statthaft sind.
Doch Helden sind jene Karikaturisten nicht. Sie sind Opfer eines scheußlichen Verbrechens. Opfer eines Gewaltakts zu sein, macht noch keinen Helden. Meinungsfreiheit heißt nicht, dass man von der Pflicht zum Respekt gegenüber Andersdenkenden entbunden wäre. Meinungsfreiheit als Errungenschaft und Privileg macht vielmehr Selbstprüfung und ethische Selbstbildung zur Pflicht.
Die Satire, also die Spottschrift, hat eine wertvolle Funktion im eigenen politischen System. Sie zeigt auf spöttische Weise auf Missstände, die zu beheben wären, schält das Tatsächliche aus dem Wust von Schönfärberei der Mächtigen.
Doch mit welchem Grund machen sich europäische Satiriker über den Stifter einer der mitgliedstärksten Religionen dieses Globus lustig? Die Satire ist eine Form der Kritik, die der europäische Kulturkreis hervorgebracht hat und auch verstehen kann. Hier nur kann sie also ihre Funktion entfalten. Im islamischen Kulturkreis gibt es diese Form der Tradition nicht, und so kann auch kein Verständnis für das Ziel der Satire erwartet werden. Sofern die Satire zum Ziel hatte, Moslems auf gewisse Missstände hinzuweisen. Hatten die Satiriker dieses Ziel? Wollten sie mit ihren Mitteln wohlwollend den Moslems helfen, gewissen Schwächen ihrer Religionsausübungen bewusst zu werden? Oder sind es schlicht und einfach Spottschriften und –zeichnungen? Aus dem niederen Beweggrund heraus, sich Lust am Ärger der anderen zu verschaffen?
Wenn wir auf diesem Planeten halbwegs friedlich miteinander leben wollen (wollen wir das?), wird ein Mindestmaß an Achtsamkeit notwendig sein. Achtsamkeit meint hier auch den Respekt vor den Perspektiven und Wahrnehmungen anderer, vor den Weltbildern und historischen Aufgaben fremder Kulturen. Wenn schon die Suche nach den Unterschieden vor der nach den Gemeinsamkeiten überwiegt, so sollten es Unterschiede sein, die uns bereichern. Ob wir nach dem Schlechten oder dem Guten des anderen schauen, obliegt unserer Entscheidung. An dieser erkennen wir, wes Geistes Kind wir selbst sind. Paradoxerweise fordern wir von anderen Kulturen Toleranz gegenüber unseren Besonderheiten, aber wir fordern es, indem wir sie beleidigen.
Aus nichtreligiöser Sicht ist die christliche Religion nicht weniger schrullig als der Islam. Die Deutschen haben vor einigen Jahrzehnten die Messlatte für Fanatismus sehr hoch gelegt, die Franzosen vor etwas über 200 Jahren ebenfalls. Standards für Multikulti und ein tolerantes Nebeneinander verschiedener Religionen setzte das Kalifat von Cordoba im 14. und 15. Jahrhundert. Es waren arabische Philosophen, die Aristoteles` Schriften bewahrten, während die Christen alles vernichteten, was nicht ihrem Dogma entsprach. Wir Abendländer sollten etwas bedachtsamer mit unseren Vorhaltungen sein.
Spannt man den Betrachtungsbogen kühn über die Jahrhunderte, darf die Feststellung erlaubt sein, dass die islamische Kultur zurzeit ihre Tiefen erfährt. Doch wie ist es mit unserem Charakter bestellt, wenn wir uns dadurch erheben wollten? Die Karikaturen des Propheten Mohammed zeigen die hässliche Seite unserer eigenen pluralistischen Kultur. Wir haben gelernt, diese auszuhalten. Doch wir wissen, dass es unter den Muslimen einige Fanatiker gibt, die da keinen Spaß verstehen. Und selbst gemäßigte, also normale, Moslems sind nicht gerade amused durch diesen billigen Spott.
Nicht Zensur, auch nicht Selbstzensur, kann die Lösung des Problems sein, sondern das individuelle Bemühen aller Beteiligten, der Zeichner, Leser, Verleger etc., die eigenen Motive ihres Handelns zu verstehen. Einknicken vor den Drohungen weiterer Verbrechen wäre ebenfalls eine falsche Reaktion. Doch die Ereignisse sollten uns zu einem kritischen Hinterfragen unserer Ziele und Methoden, unserer persönlichen Motive und Haltungen einladen.
Was nun die Herausforderung ist: erstens die Errungenschaft, dass verbale und zeichnerische Flegeleien nicht mit Kalaschnikows beantwortet werden, bewahren, und zweitens achtsamer und respektvoller mit Weltbildern fremder Kulturen umgehen. Wir leben auf einem kleinen Planeten, sind ziemlich vernetzt, und das Raumschiff Erde hat zurzeit keinen Notausgang. Wir müssen hier klarkommen. Gemeinsam.